Format: Album
Jahr: 2018
Label: bureau b, BB 285
Gäste: Jean-Hervé Perron und Zappi Diermaier von faUSt, Günter Schickert, Ulrich Schnauss, Pyrolator, Harald Grosskop & Eberhard Kranemann, Andreas Dorau, Schneider TM, Andreas Spechtl und Datashock.
„Die Dinge starren mich an, mich starren die Dinge an“
Man stellt sich ein Miami-Vice-Remake in der Hansestadt Hamburg vor, Großstadtgetümmel, blitzende Autos, Leuchtreklamen summen. Der Helge-Schneider-artige Protagonist sitzt in seinem weißen Maserati-Cabrio und lässt die Reifen schreien. Aus dem Radio spielt der geschmeidig treibende Sound von Station 17 und wir cruisen los – ins neue Album “Blick”, veröffentlicht beim Hamburger Elektro-Label Bureau B. Nachdem die Band mit dem Vorgänger “Alles für alle” ihr erstes klassisches Pop-Album veröffentlichte, folgt mit “Blick” die dreifache Rolle rückwärts. Dies kann niemanden überraschen, der dem Schaffen der Band, die von MusikerInnen mit und ohne Behinderungen gegründet wurde, seit nunmehr knapp 30 Jahre verfolgt. So gehört das Experiment seit jeher zum Extrakt der Band, der musikalische Grenzgang gehört zum Konzept. Um für die Aufnahmen von “Blick” den Staub der Stadt und der modernen Welt abzuschütteln, entschieden sich Station 17, für drei Wochen ins Watt’n Sound-Studio an der Nordsee zu emeritieren. In der sommerlichen Abgeschiedenheit des Küstenidylls befreite die Band ihren Sound aus dem Pop-Korsett der letzten Platte, um sich ganz der freien Improvisation hinzugeben.Die Musik sollte gegenwärtig sein, nur im Augenblick existieren. Keine festgelegten Strukturen, keine vorher getexteten Lyrics – nicht einmal eine Grundtonart wurde vorgegeben. Durch diese radikale, schöpferische Freiheit entstand mit “Blick” ein Werk, dasmit einem Ende an die ganz großen Krautrocker wie Popol Vuh andocken kann und auf der anderen Seite in Teilen an eine entspannte, wärmere und gesangreduzierte Version von “Die Entstehung der Nacht” der Goldenen Zitronen erinnert. Der Vergleich zu den Granden des experimentellen, improvisationslastigen Elektro-Krautmusik liegt nahe, befinden sich im illustren Kreis der Kollaborateure auf diesem Album Andreas Dorau, Jean-Hervé Péron und Zappi Diermaier von faUSt, Andreas Spechtl (Ja, Panik!), Pyrolator, Grosskopf Kranemann, Datashock, Günter Schickert und eben auch Ulrich Schnauss, mittlerweile Mitglied der deutsche Elektronikgruppe Tangerine Dream. In deren Tradition dokumentiert die Musik von “Blick” den reinen, unmittelbareren und unverfälschten Austausch zwischen den Musikerinnen von Station 17. Das Spektrum dieses“Dialogs” wird durch die musikalischen Gäste erweitert – tontechnisch festgehalten von DirkDresselhaus alias Schneider TM.Der Opener mit dem wundervollen Titel “Le Coeur léger le sentiment d'un travail bien fait” gibt eine grobe Richtung vor – gemütlich schiebender Beat, jazzige Bassline und dazwischen kurze, schreiende Bläser. Mit “Dinge” folgt im direkten Anschluss der geheime Hit des Albums – endlose, hinreißende Soundscapes, darüber die beiden Stimmen von Andreas Spechtl und Station-17-Sänger Siyavash Gharibi, die uns ihre Losungen ins Ohr zaubern. Bei der Upbeat-Nummer “Schaust du” liefert Andreas Dorau den Gesang und beschreibt auf sympathische Art die post-kapitalistische Perversion, die wir “soziale Medien”nennen.Wer sich einmal der positiven Magie der neun Tracks auf “Blick” ausgesetzt hat, wird unausweichlich feststellen, welch starke, aufrichtige Kräfte in der Musik von Station 17 schlummern. Sie machen das Beste mit dem Hörer, was Musik überhaupt zu tun vermag – ein bisschen glücklicher. (Text: Julian Bätz)